- Literaturnobelpreis 1959: Salvatore Quasimodo
- Literaturnobelpreis 1959: Salvatore QuasimodoDer Italiener erhielt den Nobelpreis »für seine lyrische Dichtung, die mit klassischem Feuer das tragische Lebensgefühl der Gegenwart ausdrückt«.Salvatore Quasimodo, * Modica (Sizilien), 20. 8. 1901, ✝ Neapel 14. 6. 1968; ab 1919 Studium am Polytechnikum in Rom, bis 1938 Landvermesser, ab 1941 Dozent für Literaturgeschichte am Mailänder Konservatorium, dann Redakteur der Zeitschrift »Il Tempo« und Übersetzer, 1953 Ätna-Taormina-Preis für Lyrik, 1958 Viareggio Preis und 1967 Ehrendoktorwürde der Oxford University.Würdigung der preisgekrönten LeistungSalvatore Quasimodo gehört zur selben geistigen Familie wie Ignazio Silone, Alberto Moravia und Elio Vittorini, zu jener Generation von linksorientierten Schriftstellern also, die erst nach dem Sturz des Faschismus einem größeren Publikum bekannt wurden. Wie sie besaß auch Quasimodo einen ausgeprägten Sinn für das Schicksal und die Wirklichkeit des heutigen Italien. In der Laudatio zur Preisverleihung wurde hervorgehoben, dass Quasimodos literarische Anfänge in das Jahr 1930 zurückreichten und er bereits in den 1940er- und 1950er-Jahren immer klarer als einer der größten lyrischen Dichter Italiens anerkannt wurde. Dieser Ruhm überschritt bald die nationalen Grenzen und Quasimodo erlangte auch internationale Anerkennung.Eine angenehme ÜberraschungWenige Wochen vor der Wahl des Nobelpreisträgers für Literatur 1959 wurde der »Archaismus des Nobelpreises« in Frankreich öffentlich kritisiert. Mit anderen Worten, die Schwedische Akademie, jene Stockholmer »Versammlung von Literaturbeamten, die nur auszeichnen, was ihnen von den Schriftstellern im Sinne einer allen, heute immer rückständiger werdenden kartesianischen Auffassung verständlich ist«, müsse durch ein internationales kompetentes Komitee ersetzt werden, das den Traum, das Unterbewusstsein, den inneren Bruch, das in einer zerrissenen Form Ausdruck findende Schöpfertum richtig beurteilen könne. Für dieses Komitee schlug man Größen der Literatur wie Jean Paul Sartre (Nobelpreis 1964), Michail Alexandrowitsch Scholochow (Nobelpreis 1965) und Erik Lindegren vor; letzterer wurde später in die Schwedische Akademie aufgenommen.Als am 22. Oktober Salvatore Quasimodo der Nobelpreis für Literatur zuerkannt wurde, war das die Antwort der Schwedischen Akademie auf die Kritik und zugleich eine angenehme Überraschung. Und der Erste, der seine Begeisterung ausdrückte, war der schärfste französische Kritiker, Alain Bosquet. »Dass Salvatore Quasimodo den Nobelpreis für Literatur bekam, zeigt den Wandel der Zeiten: Vor einigen Jahren noch wäre es undenkbar gewesen, dass die Stockholmer Akademie einen Dichter ausgezeichnet hätte, dessen erste Sorge nicht einer klassischen Schönheit oder einer Philosophie mit moralisierenden Tendenzen galt. .. man gibt jetzt zu, dass das Wesen der Dichtung wenn nicht unfassbar, so doch vielschichtig bleibt.«Dennoch stand Anders Österling, Ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie, vor dem Zwiespalt zwischen der Forderung, den Preis Pionieren zu verleihen, und den prinzipiellen Vorbehalten gegen die esoterische Dichtung. Seinem Ideal am nächsten kam Quasimodo, den er in seiner Rede als »Erneuerer der modernen Dichtung« — in einer natürlichen Verbundenheit auch mit der klassischen Tradition — bezeichnete, zugleich aber als einen Dichter, dessen »menschliches Pathos unwiderstehlich die hermetische Form durchbricht, in der er zuerst gebunden war«.Ein in Kindheitserinnerungen tief verwurzelter LyrikerZu den prägenden Erfahrungen Quasimodos zählen das furchtbare Erdbeben von Messina 1908 — bei dem der siebenjährige Junge die Hilflosigkeit und Ohnmacht angesichts von höheren Mächten erlebte — und Sizilien mit seinen Mythen, ein Schmelztiegel der Völker, Friedhof antiker Ruinen und der Vergangenheit verhaftete Bergstädte.Trotz seines Wanderlebens als Landvermesser, das ihn nach Messina, Reggio Calabria, Palermo, Rom, Florenz, Imperia, Sardinien und Sondrio verschlug; trotz seines langen Aufenthalts in Mailand blieb er stets in seiner Heimat verwurzelt. In seiner Dichtung sind die lateinische und griechische Tradition Siziliens lebendig. Er war immer bestrebt, sein Weltbild im Wesentlichen mit der Welt seiner Kindheit in Einklang zu halten.Seine erste Gedichtsammlung »Acque e Terre« (italienisch; Wasser und Erde) erschien 1930 in Florenz. In reimlosen, freien Versen von hoher Musikalität und mit einer Fülle von Klängen und suggestiven Bildern besingt Quasimodo darin unter anderem die karge, verarmte sizilianische Heimat. Wie er selbst sagt, war Sizilien die Grenze des Umfangs seiner Welt.Der erste Gedichtband wurde begeistert aufgenommen und schnell stieg er in den Kreis anerkannter literarischer Größen wie Giuseppe Ungaretti und Eugenio Montale (Nobelpreis 1975) auf, die, wie Quasimodo, dem so genannten Hermetismus angehörten. Die charakteristischen hermetischen Züge sind das mystische und tiefe Wort, die scheinbare Rauheit und Rätselhaftigkeit in oft schwer verständlichen Wortgeflechten, die Ausdehnung der Metapher auf die verschiedensten Empfindungsarten und der abgekürzte Vergleich. Obwohl sich Quasimodos Frühzeit in der hermetischen Bildungs- und Empfindungswelt abspielte, fand er einen betont eigenen Charakter. Zu den Sammlungen, die noch dem Hermetismus zugeschrieben werden, gehören »Oboe Sommerso« (italienisch; Versunkene Oboe; 1932), »Erato e Apollion« (italienisch; Erato und Apollo; 1936), »Nuove Poesie« (italienisch; Neue Gedichte; 1942).In der Kriegszeit fand in Quasimodos Schaffen eine Wandlung statt. Von seinen ersten literarischen Versuchen an war er bestrebt gewesen, Fragen zu stellen und die Schönheit menschlichen Fragens zu erfassen. Dieses Bestreben verstärkte sich angesichts der Unmenschlichkeit des Zweiten Weltkriegs. Wie viele andere Schriftsteller trat er in die Kommunistische Partei ein und nahm am Widerstandskampf teil. Nun besang er, der mehr am Leben teilnehmen, sich engagieren wollte, in »Ed è subito sera« (italienisch; Und plötzlich ist es Abend; 1942), »Tag um Tag« (1947), »Il falso e vero verde« (Das falsche und das wahre Grün; 1955) und »La Terra impareggiabile« (Die unvergleichliche Erde; 1958) das Leben seiner Zeit, wie er es nun, in neuem Bewusstsein, fühlte. Sein Thema war also nicht mehr das Leben als Erinnerung, Sehnsucht und Traum, sondern nunmehr seine Wirklichkeit.Der Nobelpreis zur Förderung von DichternQuasimodo wurde vornehmlich als wichtiger Vertreter des Hermetismus und auch aufgrund seiner Übersetzungen von Werken Shakespeares, griechischer und römischer Autoren geschätzt. Doch mit der Verleihung des Nobelpreises war der Gipfel seines Ruhms erreicht. In einer nachträglichen Einschätzung meinte das Nobelkomitee, dass Lyrikern von sehr begrenzter Reichweite wie Jiménez, Quasimodo und Perse nur der Nobelpreis ein weltweites Publikum verschaffen konnte.I. Arnsperger
Universal-Lexikon. 2012.